Sonntag, 1. Mai 2016

Hallo. Hier Welle Erdball!



Und auch das ist einer jener Geschichten, die vergessen wären, gäbe es die Bücher nicht. Mit der Tram Nr. 17 vom Kaufhaus RENOMA (dem früheren Wertheim) hinaus ins beinahe Grüne und hinein ins schöne Gebäude von Radio Wroclaw. Während der Fahrt wieder einmal Lektüre von Roswitha Schiebs wunderbarem "Literarischen Reiseführer Breslau". Denn das Haus, in dem ich ab jetzt jeden Monat eine Radio-Kolumne für den Berlin-Brandenburgischen Sender RBB aufnehmen werde, beherbergte von 1925 bis 1933 die damals berühmte"Schlesische Funkstunde". Unter der Ägide ihres Literarischen Leiters Friedrich Bischoff kamen hier Schriftsteller wie Erich Kästner und Klabund zu Wort, konnte Walter Mehring "Sahara. Eine Reise in Hörbildern" präsentieren, schwärmte der Regisseur Max Ophüls vom guten Geist des Ortes: "Der Sender lebte und blühte auf, lebte immer lebendiger und wurde einer der besten der Welt."  Friedrich Bischoff gilt bis heute als einer der Väter des modernen Hörspiels, der mit allen technischen Finessen der damaligen Zeit arbeitete und Programmfolgen entwarf, deren Namen noch immer Dynamik und Weltoffenheit evozieren: "Hallo. Hier Welle Erdball!"  Als könnte es auf immer so weiter gehen,  in einem liberalem Ambiente mit künstlerischer Freiheit …

Dann kam das Jahr 1933, Friedrich Bischoff wurde als angeblicher "Kulturbolschewist" fristlos entlassen, von der Gestapo inhaftiert und im "Breslauer Rundfunkprozess" schließlich sogar der"Korruption und Verschwendung" angeklagt. Nach dem Krieg wurde er in Westdeutschland Intendant des Südwestfunks.

Und heute? Neben den Eingangssäulen die Erinnerungstafel an einen, der dann nach dem Krieg die Zuhörer ebenfalls überraschte und erfreute: Der Chor-Dirigent Edmund Kajdasz (1924-2009), von dem es über 4000 Aufnahmen seiner Arbeit gibt, viele hier bei Radio Wroclaw aufgenommen.

Drinnen im schallgedämpften Studio radebreche ich mit dem freundlichen älteren Techniker eine Art Denglisch, die Standleitung nach Berlin kommt zustande: ein kurzes Interview, dann der einzulesende Text. Draußen vor dem Fenster das Frühlingslaub der Bäume, Morgensonnenlicht. Als wäre auch unsere Zeit, unsere gute, friedliche europäische Gegenwart, für immer und ewig gemacht. Illusionen, die (noch) die Realität auf ihrer Seite haben. Vielleicht ist das ja das Beste am Aufenthalt in dieser Stadt: Diese Entdeckung von Tiefenschichten und Brüchen, von historischer Existenz und Endlichkeit.

Dann kommt da drüben auch schon die 17 angezuckelt, ich muss mich mit dem Straßeüberqueren beeilen, vorher aber noch ein Foto-Blick auf jenen winzigen Bronze-Zwerg, der auf den Steinstufen neben dem Eingang hockt und ein Mikrofon zu halten scheint. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte – Fortsetzung folgt.


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1 Kommentare:

Fridrich Müller hat gesagt…

Seh interessant!
sicherer datenraum

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