Dienstag, 14. Juni 2016

Wrocławs Zwerge: PR oder Erinnerung an eine Subversion?
Alle sind da und alles ist da, real und virtuell und handlich und niedlich und sommerlich glänzend:
Mittlerweile 396 Bronze-Zwerge sitzen/hocken/klettern/schauen/warten/rauchen/denken/beobachten in beinahe allen Ecken der Stadt. Man darf spekulieren, wie viel die Kleinen zur Wahl Wrocławs als diesjähriger Europäischer Kulturhauptstadt beigetragen haben: Eine  ganze Menge. 


Touristen können sich gar nicht satt sehen an der Attraktion, Einheimische sind zu Recht stolz auf das neue, bereits äußerst populäre Wahrzeichen der Stadt, das so gar nichts mit blechernem Pathos oder statischer Monumental-Architektur zu tun hat. Dazu dieses immenses Medieninteresse in der ganzen Welt, kürzlich sogar – erzählt Marek Miklaszewski – ein ganzseitiger Artikel in Japans renommiertester Tageszeitung. Der wie viele seiner Generation freundlich-tough wirkende 31jährige weiß tatsächlich alles zur Genese dieser Popularisierung, hat er doch selbst entscheidenden Anteil daran, hat sie mit angestoßen und promotet sie seither mit beträchtlichem Geschick. Zeigt mir vor einem im weitflächigen Rathaus-Gebäude untergebrachten Souvenir-Shop einen von ihm mit entwickelten Zwergen-Stadtplan, der Namen und Standort von 212 der Gestalten zeigt – vom „Freundlichen Zwerg“ bis zum „Trinker“.  


Ebenfalls wie viele der Digital-Affinen seiner Generation kaum noch beschwert von den Sekundärtugenden der Ironie, des Ambivalenzbewusstseins und übermäßigen Reflexions-Elans, bemerkt Marek während unserer Zwergen-Tour wohl kaum meine Skepsis. Freut sich stattdessen an meiner Freude an seiner Freude über die neue Zwergen-App, die man sich aufs Smartphone laden kann – sozusagen eine Kontaktbörse in die Schlumpf-Welt. Überhört meine skeptischen Fragen nach dem sichtbaren Erbe der oppositionellen „Orangenen Alternative", die in den achtziger Jahren diese Zwerge doch kreiert hatte als jenes Instrument der Subversion, gegen das die Repressionsorgane des kommunistischen Staates hilflos waren. Oder besser (und fairer interpretiert): Marek hört meine Fragen sehr wohl und beantwortet sie prompt auf eine Weise, die ein wenig an den deutschen Werbeslogan für Ritter Sport-Schokolade gemahnt: quadratisch-praktisch-gut. Sieh mal, da ist ein neuer mehrsprachiger (ebenfalls von ihm mit initiierter) Wrocław-Reiseführer, darin ist der oppositionelle Ursprung der Zwerge erwähnt, mehr Informationen könne auch Waldemar Fydrych alias „der Major“ geben, der heute in Warschau lebt und damals der kreative Kopf der „Orangenen Alternative“gewesen war, immer wieder neue Zwergen-Happenings organisierend, die das Jaruzelski-Regime zur Weißglut gereizt hatte. Sogar dies als Info: Streit hatte es vor ein paar Jahren gegeben zwischen der Stadt und dem „Major“, der eine ahistorische Verniedlichung jener mehr und mehr kommerzialisierten Zwerge fürchtete. Inzwischen habe sich der Konflikt jedoch beruhigt, und falls ich den „Major“ irgendwann anrufen möchte, hier schon mal die Nummer …


War es also ein bisschen gemein von mir, den sympathischen und engagierten Marek Miklaszewski anfangs auf eine beinahe misstrauische Weise beobachtet und dazu auch noch Fangfragen zu seinem familiären Hintergrund gestellt zu haben? Denn nein: Hier ist nicht etwa ein kalt-smarter Nomenklatura-Spross am Werk, der die einst riesenhaft renitenten Zwerge nun geschäftsmäßig … verzwergt. (Im Gegenteil: Aus einer kultivierten Familie mit Exil- und Solidarność-Erfahrung stammend, ist er es schließlich, der mir jenen dreisprachigen Wälzer in die Hand drückt, einen inzwischen vergriffenen Bildtext-Band über den zivilen Heroismus der „Orangenen Alternative“ und ihren nimmermüden Witz gegen die ebenso humorlose wie gewaltbereite Staatsmacht. Andererseits: Doch nicht meine – und auch nicht seine – Schuld, dass Mareks Generation bei aller digitalen Vernetztheit beinahe jeglicher Sinn für psychologische Konstellationen und Ambiguität verloren gegangen ist. What the hell you talk about, könnte er fragen, würde ich sprechen und wäre er nicht derart gut erzogen.) 

Je länger wir unterwegs sind vom Rynek hinüber zur Oder und dann hinaus in die alte Künstlerfabrik, wo die Zwerge gegossen werden, umso mehr erinnert mich Marek an Gael Garcia Bernal in dessen Rolle im chilenischen Spielfilm No!. Es ist die Geschichte eines eher apolitischen Werbefachmannes, der es im Jahre 1988 vermochte, der Anti-Pinochet-Kampagne zu Schwung und Sieg zu verhelfen, die damals neuesten Medien-Tricks nutzend und nicht auf die Folklore-Vorschläge der älteren Oppositionellen hörend.

Aber trägt der Vergleich? Was ich bei all dem Zwergen-Hype vermisse (und das ist wiederum nicht Mareks Schuld), ist ja gerade die Erinnerung an das freche Lächeln der Eltern- oder Großeltern-Generation, deren Coolness dann doch eben eine andere war als die der Heutigen. Was ich vermisse, sind keine elektronischen Links, sondern Gedankenverbindungen zu den Gefährdungen der Gegenwart, in der erneut herrschaftsgestütztes Pathos zivile Ironie zu maßregeln versucht. So schön auch alles in den hiesigen Souvenirshops drapiert ist und von Zwergen-T-Shirts über Zwergen-Feuerzeuge/Teller/Tassen/Kalender und Zwergen-Bleistifte feilgeboten wird – könnte/dürfte es nicht mitunter auch einen Tick weniger niedlich sein?

Womöglich aber hat Marek Miklaszewski doch etwas von meinem grummelnden inneren Monolog erspürt, so dass er mich in einen weiteren Souvenir-Shop geleitet, wo Paulina Mroz, die „Miss Wrocław 2012“ hinter dem Verkaufstisch steht und mit ihrem Charme alle Skepsis verfliegen lässt. 


Oder, nachdem ein Foto von uns gemacht ist, fast alle vorangegangene Skepsis neutralisiert. Bedeutet „Mroz", wie mir Paulina und Marek übersetzen, doch im Englischen „Frost". Und was böte sich angesichts von soviel Gutgelauntheit Besseres an als die Erinnerung an Robert Frost und die berühmtesten Verse des amerikanischen Dichters? „The woods are lovely, dark and deep,/ But I have promises to keep/, And miles to go before I sleep."

Wie wäre es, ersetzte man Wälder durch Zwerge  und sähe es als zu haltendes Versprechen, die von den Vorgänger-Generationen so hart erkämpfte Freiheit als hohen und vor allem: fragilen Wert anzuerkennen, ehe man wieder in den Schlaf einer Alles-ist-bestens-IT-Welt sinkt? 

(Sorry, lieber Marek, doch nicht meine Schuld, dass ich unseren tollen-Stadtgang mit all diesen Gedanken beschwere …)  

              
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