Neun Abende des Erinnerns und der Gegenwart: Auf dem Gelände des ehemaligen Freiburger Bahnhofs wird offenbar, was Kunst kann.
Ein Portal, dessen Neonaufschrift auch nachts flimmert: Wroclaw Swiebodzki. Doch sieht man nur, was man weiß. Und selbst dann... Schwer vorstellbar, dass die rechts und links von Häuserzeilen flankierte Pforte einst den wohl wichtigsten Kopfbahnhof von Breslau präsentierte, eben jenen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Freiburger Bahnhof. Brachliegendes Areal, an dem sich einst Tragödien abgespielt hatten, jedoch auch vorsichtige Hoffnung keimte. Von hier wurden nach Kriegsende 1945 die ausgesiedelten Deutschen in Richtung Westen abgeschoben, hier aber kamen auch die polnischen Neusiedler an beide Gruppen Schachfiguren auf dem Feld der (Welt-) Politik.
Wie erweckt man einen solchen Ort für die Dauer von neun Vorführungs-Abenden wieder zum Leben, ohne dass es gewollt didaktisch wirkt? Ohne – dies vor allem die potentielle Gefahr, die der Berichterstatter zur Premiere ahnte – dass der Schicksalsort lediglich zur Kulisse einer jener hochfahrend-ambitionierten „Installationen“ würde, wie es in ganz Kultur-Europa mittlerweile Routine ist?
Die Sorge freilich war unbegründet, denn was am letzten Augusttag um 17 Uhr begann und am 10. September spätabends enden wird, war das Beste aus beiden Welten: Ästhetik und Politik. Geschichte und Gegenwart. Engagement und künstlerische Innovation. Nicht zuletzt: Wut und Leichtigkeit.
Was ist da zu sehen? Zuerst einmal Karikaturen, die in einem Vorraum von der Decke baumeln. Nicht alle wirklich gelungen, doch dann: Ein subversives Meisterwerk nach dem anderen, denn im Backstage-Bereich eines zur Bühne umfunktionierten Saals hängen die großartigen Schocker des polnischen Zeichners Marek Raczkowski. Und wer tauchte plötzlich auf, nach einer kurzen Observation meines erfolglosen Versuchs, die Kommentarzeilen und Sprüche zu entziffern? Polnische Leserinnen meines Blogs! Fans vor allem jenes kritischen „Klartext-Monologs“, von dem sie mir lachend zuraunten, neue Freunde in den hiesigen Institutionen hätte ich mir dabei wahrscheinlich nicht gemacht... Perfekt zweisprachig sind sie und nun vor allem daran interessiert, wie meine Übersetzerin wohl jene rüde Bar-Sprache des Monolog-Textes übertragen hätte. Kein Zweifel, dass Frau Slabicka auch dies mit Bravour gelungen sein würde. Weshalb aber – unser aller etwas argwöhnische Frage – dauert es gerade bei diesem Text so lange, bis er auf der polnischen Site meines Blog erscheint, sollen etwa Polen nicht lesen, was Deutsche lesen? Aber Nein, das wäre ja ein ganz und gar abwegiger Zensur-Verdacht, eine paranoide Vorstellung – nicht wahr, nicht wahr? Also jetzt aber erst einmal: Ad hoc-Übersetzungen der Raczkowskischen Karikaturen-Sprüche!
„Schauen Sie mal, hier: Zwei Bayern beim Bier:`Ich würd ja gern rüber fahren und in Polen Land kaufen, hab´ aber Angst, einer von denen nimmt mir derweilen die Arbeit weg.´“ Und, noch einen Zacken schärfer: Antrittsbesuch von vier NATO-Militärs im "neuen" PIS-Polen. Flüstert der eine Einheimische angesichts der multi-ethnischen Abordnung: „Zumindest einer von denen ist weiß!“ Wispert sein Kollege zurück: „Ja, aber er ist Deutscher“. Haha...
Was ist da zu sehen? Zuerst einmal Karikaturen, die in einem Vorraum von der Decke baumeln. Nicht alle wirklich gelungen, doch dann: Ein subversives Meisterwerk nach dem anderen, denn im Backstage-Bereich eines zur Bühne umfunktionierten Saals hängen die großartigen Schocker des polnischen Zeichners Marek Raczkowski. Und wer tauchte plötzlich auf, nach einer kurzen Observation meines erfolglosen Versuchs, die Kommentarzeilen und Sprüche zu entziffern? Polnische Leserinnen meines Blogs! Fans vor allem jenes kritischen „Klartext-Monologs“, von dem sie mir lachend zuraunten, neue Freunde in den hiesigen Institutionen hätte ich mir dabei wahrscheinlich nicht gemacht... Perfekt zweisprachig sind sie und nun vor allem daran interessiert, wie meine Übersetzerin wohl jene rüde Bar-Sprache des Monolog-Textes übertragen hätte. Kein Zweifel, dass Frau Slabicka auch dies mit Bravour gelungen sein würde. Weshalb aber – unser aller etwas argwöhnische Frage – dauert es gerade bei diesem Text so lange, bis er auf der polnischen Site meines Blog erscheint, sollen etwa Polen nicht lesen, was Deutsche lesen? Aber Nein, das wäre ja ein ganz und gar abwegiger Zensur-Verdacht, eine paranoide Vorstellung – nicht wahr, nicht wahr? Also jetzt aber erst einmal: Ad hoc-Übersetzungen der Raczkowskischen Karikaturen-Sprüche!
„Schauen Sie mal, hier: Zwei Bayern beim Bier:`Ich würd ja gern rüber fahren und in Polen Land kaufen, hab´ aber Angst, einer von denen nimmt mir derweilen die Arbeit weg.´“ Und, noch einen Zacken schärfer: Antrittsbesuch von vier NATO-Militärs im "neuen" PIS-Polen. Flüstert der eine Einheimische angesichts der multi-ethnischen Abordnung: „Zumindest einer von denen ist weiß!“ Wispert sein Kollege zurück: „Ja, aber er ist Deutscher“. Haha...
Ein Deutscher ist – trotz des französischen Namens – auch der Regisseur Stephan Stroux, der diese gelungene Melange aus Ausstellung, Konzerten, Lesungen, Licht-Installationen und Freiluft-Theater konzipiert hat. Steht dann zu Beginn der ersten Konzerte denkbar unprätentiös, Mineralwasserflasche in der Hand, in der nun zur Bühne gewordenen ehemaligen Bahnhofshalle und erinnert an die Unbehaustheit des Individuums im Strom der Geschichte und Ideologien, spricht über das Wegtreiben oder Herbeiholen von Menschen im Dienste dieser oder jener „Sache“. Wer die üblichen Reden „politisch bewusster“ deutscher Künstler kennt und deren Hang zur Selbstgerechtigkeit, konnte an diesem Abend durchatmen: Stroux´ englisch ohne teutonischen Akzent, weder rhetorische Sprechblasen noch emotionalisiertes Auf-die-Tränendrüsen-Drücken. Lediglich, eingebettet in eine knappe Vorstellung des Projektes, der Hinweis, dass auch polnische Kollegen vom Teatr Polski da sein werden, mit ihren Protestschildern gegen den neuen, ihnen aufoktroyierten Intendanten, einen regierungsnahen Seifenoper-Schauspieler. (Was Stephan Stroux so detailliert aber gar nicht ins Mikrophon sagt, einem jedoch die Schauspieler in den Aufführungspausen mitteilen – mit der Bitte, ihren Protest in diesem Blog zu erwähnen.)
Dann: Ein erstes Konzert. Becircender, aufwühlender Reigen aus christlichem a capella-Gesang (vorgetragen von fünf wunderbaren jungen Leuten des Teatr Zar), jiddische Lieder von Bente Kahan und schließlich ein das gesamte Publikum mitreißender Sufi-Tanz des seit sieben Jahren in Jelena Gora lebenden Ägypters Ibrahim Mahmoud. (Und auch da – wie um die Relevanz der völker- und religionsverbindenden künstlerischen Freiheit zusätzlich zu aktualisieren – diese Information in der Pause: Ursprünglich eingeladen war ein türkischer Künstler, dem jedoch das Erdogan-Regime den Reisepass verweigert hatte. Realität des Sommers 2016.) Und Kunst nicht als Einlullendes, sondern mit Widerhaken: "Das Schtedl brennt", singt Bente Kahan mit vibrierender Stimme, die transzendiert. Und waren einst - dieser Gedanke jetzt hier, hier in Wroclaw – nicht nur russische Kosaken und polnische, litauische oder ukrainische Bauern, die über die Jahrhunderte hinweg die jiddischen Schtedl in willkürlichen Abständen immer wieder brennen ließen, sondern... Sondern auch jene deutschen Breslauer, die sich zur SS gemeldet hatten oder als Wehrmacht-Soldaten ihren Teil beitrugen zur versuchten Auslöschung des gesamten jüdischen Volkes.
Und nun: Dieses Lied, voll des Schmerzes, aber auch der Überlebenskraft der Augenzeugen! Und schließlich Ibrahim Mahmouds Tanz – ein Wirbeln und Stoff- und Körperkreisen und die zum Gebet erhobenen Hände nicht Unterordnung signalisierend, sondern Daseinsdankbarkeit! (Riesiger Applaus. Und danach – lustig zu beobachten – all die Sehnsuchtsblicke polnischer Frauen, die angesichts des nun wieder ganz westlich gewandeten, charmanten Künstlers wahrscheinlich daran erinnert werden, wie sinnlich unbefriedigend es doch ist, in einem ethnisch homogenen Umfeld leben zu müssen anstatt im Vermischten.)
Und nun: Dieses Lied, voll des Schmerzes, aber auch der Überlebenskraft der Augenzeugen! Und schließlich Ibrahim Mahmouds Tanz – ein Wirbeln und Stoff- und Körperkreisen und die zum Gebet erhobenen Hände nicht Unterordnung signalisierend, sondern Daseinsdankbarkeit! (Riesiger Applaus. Und danach – lustig zu beobachten – all die Sehnsuchtsblicke polnischer Frauen, die angesichts des nun wieder ganz westlich gewandeten, charmanten Künstlers wahrscheinlich daran erinnert werden, wie sinnlich unbefriedigend es doch ist, in einem ethnisch homogenen Umfeld leben zu müssen anstatt im Vermischten.)
Danach, es ist nun schon dunkel geworden, ein gemeinsames Wandeln entlang der Bildschirme, die in einer weiteren ehemaligen Bahnhofshalle von den Schicksalen der gegenwärtigen Flüchtlinge Zeugnis ablegen: Nicht-Orte und Zwangs-Mobilität an Mittelmeer-Häfen, auf ungarischen und kroatischen Bahnhöfen, auf deutschen Busplätzen.
Flüchtende/Vertriebene/Ankommende auf die Innenwände des Bahnhofsgebäudes projiziert, Damalige mit Baskenmützen und Pappkoffern, dazu Heutige. Ein inquisitionsartiges Defilee mit dem Symbol eines brennenden Herzens erschließt sich nicht sogleich, erhält jedoch Sinn beim nachfolgenden Zwischen-den-Gleisen-Dialog: Menschen beim Streiten über "Identität", beim Propagieren oder Zurückweisen nationalistischer Schimären. Und noch immer, bis zuletzt: Nicht ein Hauch jener politischen Korrektheit und Gratis-Empörung, die sich beim Weißwein goutieren ließe. Nichts davon an diesem Abend, der bis zum 10. September seine Fortsetzungen finden wird - in weiteren Aufführungen, Konzerten und Prosa-Lesungen, haben doch die Schriftsteller Olga Tokarczuk und Matthias Göritz extra eigene Texte für dieses Projekt geschrieben.
Man wünscht diesem hellwachen Zauber am ehemaligen Freiburger Bahnhof viele, viele Besucher.
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