Donnerstag, 30. Juni 2016

Foul Play gegen Solidarność.


Europäische Amnesie I, obiges Foto: Im Rahmen der Sicherheitsinstruktionen vor dem Spiel der polnischen Nationalmannschaft in St. Etienne gegen die Schweiz wurde dieses Blatt, das alle den Stadien verbotenen Symbole aufführt, an die Ordnungsdienste ausgegeben. Aufgeführt ist dort allerdings auch das legendäre Logo der Solidarność – in einer Reihe mit rechtsextremistischen Symbolen. (Dank an Thomas Urban, den früheren Polen-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, für den Hinweis auf diesen Skandal.) Welche tumben Franzosen sind da wohl übers Ziel hinausgeschossen und haben ein Eigentor gelandet? Pro-Kommunistische Sympathien kann man nämlich gewiss ausschließen – es ist wohl eher diese um sich greifende Huschigkeit, die gerechtfertigten Widerstand nicht von antidemokratischer Militanz zu unterscheiden weiß und deren historischer Referenzrahmen defekt ist (falls er jemals existiert hat). Internet statt Lexikon – und im virtuellen Raum dann noch nicht einmal Wikipedia konsultiert. Schwaches Spiel!

Europäische Amnesie II, Deutscher Bundestag: Bevor die Episode des EM-Bildes Teil jener endlosen Groß-Erzählung wird, die Polen immer und ewig als unverstanden darstellt, die Erinnerung an einen anderen Skandal, geschehen vor zwei Wochen in Berlin. Aus Anlass des 25. Jahrestages des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrages war im Deutschen Bundestag unter dem Titel „Geschichten eines Dialogs“ eine Ausstellung zu sehen. In der Tat allerlei Geschichten, Fotos, Erinnerungen. Wer jedoch dabei nicht erwähnt wurde, obwohl doch ungeheuer prägend für das deutsch-polnische Verhältnis vor und nach ´89, war ausgerechnet Lech Wałęsa. Zufall? Wohl eher regierungsamtliche Absicht, denn die Ausstellung war nicht etwa in Berlin, sondern im offiziellen Warschau konzipiert worden, und glaubt man Robert Kostro, Direktor des Museums für die Geschichte Polens, dann fehlt Wałęsa zu Recht, hätte er doch „keine bedeutende Rolle in diesen Beziehungen“ gespielt. Da möchte man, im Namen der eigenen Erinnerung und so vieler, vor allem Ostdeutscher, denen oftmals bereits Wałęsas Name Kraft gegeben hatte zum Widerstehen, doch zornrot werden und diesem Regierungshistoriker die entsprechende Karte zeigen.

Obwohl das Bild eigentlich nicht stimmig ist und die falsche Logik übernimmt: Geschichtliche Erinnerung und Reflexion ist eben kein Spielfeld. Oder sollte es zumindest nicht sein, temporär siegreichen Mannschaften unterworfen. (Dank an den Wrocławer Historiker und Deutschland-Experten Krzysztof Ruchniewicz, der in seinem Blog die Geschichte dieser vergesslichen Ausstellung in die Öffentlichkeit gebracht hat.)

Auch wer aus gutem Grund eher skeptisch ist gegenüber aufgeregten Resolutions-Intellektuellen und unentwegten Skandal-Anprangerern, müsste vielleicht die Zeichen der Zeit erkennen und klugen Warnern Gehör schenken: In der Tat wurde niemals seit dem Ende des Kalten Krieges auf unserem Kontinent derart schamlos gelogen und gefälscht, die Geschichte zur Sklavin der Tagespolitik gemacht: Von Putins Behauptung eines „faschistischen Putsches in Kiew“, Marine Le Pens Selbstdarstellung als neue Jeanne d´Arc über den AfD mit seiner rechtslinken Hetze gegen die „Amerikanisierung bundesdeutschen Bewusstseins“ – bis eben zur Ignoranz oder zum Hass auf jenen unbotmäßigen Solidarność-Aktivisten, ohne den 1989 so nicht denkbar gewesen wäre. Zeit, den Manipulatoren nicht weiterhin alles schulterzuckend durchgehen zu lassen.
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Sonntag, 26. Juni 2016

Auf der Liebichshöhe
„Gegenwärtiger Zustand: Halb-Ruine.“ Es klingt ein wenig bedauernd, was da in Reiseführern und auf Websites zu lesen ist.
Für mich ist das hügelige Areal oberhalb des Stadtgrabens und des Auto- und Tramgetöses auf der Ulica Piotra Skargi aber längst zu einem meiner Wrocławer Lieblingsorte geworden.
Man kann hier joggen oder auf einer der Parkbänke lesen oder schauen: Der Blick hinunter durch das sonnengesprenkelte Baumgrün suggeriert einen idyllischen Fluss, und auch sonst scheint auf dem Hügelchen die Zeit still zu stehen. Oder besser im Plural: Die Zeiten. Denn die bereits halb überwucherten Betonreste und bunkerartigen Knuppel stammen doch gewiss aus der kommunistischen Epoche, als die Liebichshöhe in „Partisanenhügel“ umbenannt wurde.

Oder datieren sie stattdessen aus den apokalyptischen Wochen von Anfang 1945, als der Untergrund und die Kasematten der ehemaligen Stadtbefestigung von der Wehrmacht als Standort der irren „Festung Breslau“ missbraucht wurden?






Fest steht, dass das bis heute präsente wunderbare Säulenhalbrund-Belvedere 1867 vom Architekten Karl Schmidt entworfen und vom Kaufmann Adolf Liebich finanziert wurde und in den Jahrzehnten danach ein beliebtes städtisches Ausflugsziel mit Restaurant und „Gartenwirtschaft“ war. Heute ist das längst baufällig gewordene Belvedere von einem Zaum umschlossen, und weil das so ist, suche ich mir oben auf dem Hügel eine kleine Spalte, um mich zwischen Gitter und bröseliger Freitreppenbrüstung hindurch zu zwängen.




Sind nicht gerade deutsche Touristen in der Nähe („Sieht der denn nicht, dass hier der Zutritt untersagt ist?“), umfängt einen bereits auf den Treppenstufen und dann innerhalb des Säulengangs eine noch größere Stille. Doch dann beginnt es auch schon zu wispern: Zurufe aus jener Zeit, in der man für abendliches Ausgehen noch das antiquierte Wort „schwofen“ benutzte und „Mein Fräulein, darf ich Sie zum Tanz bitten?“ sagte und „Fescher Bursch‘, nur nicht so forsch“.

Im leprösen Mauerwerk gurren die Tauben, doch scheinen sie menschliche Stimmen zu haben und von früher zu erzählen. Dasitzen und zuhören, staunen und auch ein wenig schaudern. Denn dieser zum abgesperrten Nicht-Ort gewordene ehemalige Tempel der Lebensfreude ist gleichzeitig auch ein Topos. In den romantischen Gedichten und Erzählungen von Heine, Eichendorff und Uhland beschrieben, dies´ helle Gläserklirren und übermütige Gelächter, das einst auf Schlössern und in prunkvollen Sälen und lauschigen Gärten erklungen war, während jetzt alldort nur noch Ruinen und Ödnis sind.



Adalbert von Chamissos Schloss Boncourt. Arthur Schnitzlers mysteriöse Masken-Villa in der Traumnovelle. Das zaubrische Schloßgut in der Moorlandschaft der französischen Solonge, in dem Der Große Meaulness seine halb geträumten, halb realen Abenteuer lebt. Das zuvor von Swing-Klängen, doch nun von Verlassenheit erfüllte Anwesen des Großen Gatsby. Das Haus in der Calle de los Notarios, in dem man den Ich-Erzähler in Garcia Marquez´ letztem Roman mit zwölf Jahren in die Liebeskunst eingeweiht hatte und der nun, als über Neunzigjähriger, dort nur noch eine Ruine vorfindet, grasbewachsen und übersät von Unrat. Dieses abrupte Entschwinden von Intensität, das auf einmal ganz unwahrscheinlich Gewordene von Augenblicks-Begegnungen (aus Menschen werden Geister). Barock-Lyrik: Wo gestern noch getanzt und der Sinne Sturm/ ist heute schon Moder und Grab.// Wo einst Fleisch sich paarte/ wird itzo sein nur Staub.




Wäre das, sinniere ich, während von Kapitell zu Kapitell Spinnwebfäden gespannt sind, die das Sonnenlicht noch transparenter macht, nicht auch ein Sujet für die beiden Breslauer Poeten Angelus Silesius und Quirinus Kuhlmann gewesen, deren Gedichte ich hier einmal dabei hatte? (Kleine gelbe Reclam-Heftchen, wie gemacht dafür, in die hintere Jeanstasche gesteckt zu werden, auf dass sie nicht hinderlich sind beim Zäune-Überkraxeln und Mauerbrüstungs-Balancieren.) Aber eher nicht: Kuhlmanns ausrufezeichen-affine Hysterien passen nicht so recht zu dieser Atmosphäre, und auch Angelus Silesius´ mitunter beinahe das Pornographische streifende Oh Gott-Anrufungen sind nicht das Richtige – trotz der schrägen Schönheit solcher Verse: Ich bin die Turteldaub/ die Welt ist meine Wüste/ Gott mein Gemahl ist weg: Drumb sitz ich ohn Geniste.




Die Pointe freilich: In manchen Nächten erwacht die alte Liebichshöhe eben dann doch wieder zum Leben, sogar zu einem Nachtleben, wie es das hier zuvor wohl kaum gegeben hatte – ausgerechnet da, wo die alten Festungsgänge und Kasematten waren! Über diesen Club aber ein anderes Mal.


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Donnerstag, 23. Juni 2016

Nachtrag zum Wochenende.
Kommen in Diktaturen Jubiläen immer blechern und pathetisch daher, neigen Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen in Demokratien oftmals zur freundlichen Sonntagsrede, die Konflikte ausspart. Dabei wäre doch gerade der 25.Jahrestag des polnisch-deutschen Freundschaftsvertrages die beste Gelegenheit, in „Zimmerlautstärke“ (Reiner Kunze) miteinander zu reden, zu debattieren, nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen. Darum ging es auch in jenem Gespräch, das vor ein paar Tagen das Berliner DeutschlandRadio mit mir führte – und ich mich dabei bemühte, eben NICHT von der „Position des Stadtschreibers“ heraus zu deklamieren.

Die Leser der polnischen Übersetzung dieses Blog-Eintrages können jetzt zumindest an meiner Modulation hören, ob es mir gelungen ist, den getragenen Tonfall zu vermeiden ;-))

Als Stadtschreiber in Breslau
Die historischen Brüche der Stadt interessieren den Stadtschreiber Marko Martin. Der Schriftsteller ist seit April in Breslau und widmet sich seinen Erlebnissen in einem Blog. Marko Martin im Gespräch mit Jörg Magenau

www.deutschlandradiokultur.de
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Freitag, 17. Juni 2016

Lektüre-Empfehlung
Wahrscheinlich ist es das wichtigste Buch, das im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt erscheint – und zum 25. Jahrestag des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrages. Weshalb? 

Weil das zweisprachige, von Mateusz Hartwich und Uwe Rada herausgegebene Berlin und Breslau. Eine Beziehungsgeschichte wichtigtuerisch-offizielle Sprechblasen meidet, keine Goldrandtexte versammelt, sondern kluge und kreative Überlegungen, Erinnerungen, Kommentare, Vorschläge zur Geschichte beider Städte. Ein reader im besten Wortsinn!

Der Historiker Krzysztof Ruchniewicz erinnert z.B. daran, wie die polnische Beschäftigung mit dem deutschen Antinazi-Geistlichen Dietrich Bonhoeffer auch im Kampf gegen die kommunistische Diktatur half. Die Kunsthistorikerin  Beate Störtkuhl schreibt über die Breslauer Architektur-Moderne 19001933, der Kulturwissenschaftler Mateusz Hartwich über die Geschichte des sogenannten „Bevölkerungsaustauschs“ nach 1945, Jerzy Kichler über „Wiedergewonnene jüdische Geschichte“, Roswitha Schieb über „Schlesische Spuren an der Spree“*, Agata Gabis über den Wiederaufbau nach dem Krieg, der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (wohltuend uneitel) über die Breslau-Erinnerungen seiner Familie und Robert Żurek über die Versöhnungsgeste des polnischen Bischofsbriefs von 1965, die damals in Deutschland kaum ein Echo fand. 

Aus dem Text des Historikers Andrzej Debski erfuhr ich, dass bei Filmdreharbeiten 1958 in Wrocław just hier der Schriftsteller Marek Hlasko („der polnische James Dean“) den westdeutschen Heimatfilmstar Sonja Ziemann kennenlernte und Marlene Dietrich 1966 im Hotel Monopol den ein Jahr später am Wrocławer Hauptbahnhof tödlich verunglückten Zbigniew Cybulski traf, dessen Rolle in Andrzej Wajdas Asche und Diamant sie zutiefst beeindruckt hatte. Und Steven Spielberg hatte die Ostberlin-Szenen zu Bridge of Spies zwischen den Gründerzeithäusern im Viertel Nadodrze gedreht, dessen Ähnlichkeit (und Differenz) zu Berlin-Kreuzberg wiederum der versierte Stadtkenner Uwe Rada nachgeht. Und und und – der Entdeckungen sind kein Ende. 

Am Schönsten und Treffendsten jedoch Krzysztof Ruchniewicz, dessen Resümee man vor allem jenen älteren deutschen Kulturreisenden ans Herz legen möchte, die mitunter einen Tick zu selbstgewiss über den Rynek stolzieren: 
„Heute ist Breslau zu Recht stolz auf viele wunderschön renovierte Denkmäler. Ist es ein Verdienst der Erbauer, der Deutschen? Breslau wurde doch von Polen wiederaufgebaut. Sind es deswegen ‚polnische‘ Denkmäler? Diese Frage so zu stellen, führt ins Nirgendwo. Vielleicht gehört es zum Genius loci dieser Stadt, dass die Denkmäler der einen und die Leistung der anderen miteinander in einen Dialog treten, ein Miteinander über Grenzen und Epochen hinweg gestalten können.“

Voilà …

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Herausgegeben von Mateusz Hartwich und Uwe Rada
Berlin und Breslau. Eine Beziehungsgeschichtebe.bra-Verlag 2016
weitere Informationen

* Roswitha Schieb:
Jeder zweite Berliner. Schlesische Spuren an der Spree
Verlag Deutsches Kulturforum östliches Europa, 2012
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Dienstag, 14. Juni 2016

Wrocławs Zwerge: PR oder Erinnerung an eine Subversion?
Alle sind da und alles ist da, real und virtuell und handlich und niedlich und sommerlich glänzend:
Mittlerweile 396 Bronze-Zwerge sitzen/hocken/klettern/schauen/warten/rauchen/denken/beobachten in beinahe allen Ecken der Stadt. Man darf spekulieren, wie viel die Kleinen zur Wahl Wrocławs als diesjähriger Europäischer Kulturhauptstadt beigetragen haben: Eine  ganze Menge. 


Touristen können sich gar nicht satt sehen an der Attraktion, Einheimische sind zu Recht stolz auf das neue, bereits äußerst populäre Wahrzeichen der Stadt, das so gar nichts mit blechernem Pathos oder statischer Monumental-Architektur zu tun hat. Dazu dieses immenses Medieninteresse in der ganzen Welt, kürzlich sogar – erzählt Marek Miklaszewski – ein ganzseitiger Artikel in Japans renommiertester Tageszeitung. Der wie viele seiner Generation freundlich-tough wirkende 31jährige weiß tatsächlich alles zur Genese dieser Popularisierung, hat er doch selbst entscheidenden Anteil daran, hat sie mit angestoßen und promotet sie seither mit beträchtlichem Geschick. Zeigt mir vor einem im weitflächigen Rathaus-Gebäude untergebrachten Souvenir-Shop einen von ihm mit entwickelten Zwergen-Stadtplan, der Namen und Standort von 212 der Gestalten zeigt – vom „Freundlichen Zwerg“ bis zum „Trinker“.  


Ebenfalls wie viele der Digital-Affinen seiner Generation kaum noch beschwert von den Sekundärtugenden der Ironie, des Ambivalenzbewusstseins und übermäßigen Reflexions-Elans, bemerkt Marek während unserer Zwergen-Tour wohl kaum meine Skepsis. Freut sich stattdessen an meiner Freude an seiner Freude über die neue Zwergen-App, die man sich aufs Smartphone laden kann – sozusagen eine Kontaktbörse in die Schlumpf-Welt. Überhört meine skeptischen Fragen nach dem sichtbaren Erbe der oppositionellen „Orangenen Alternative", die in den achtziger Jahren diese Zwerge doch kreiert hatte als jenes Instrument der Subversion, gegen das die Repressionsorgane des kommunistischen Staates hilflos waren. Oder besser (und fairer interpretiert): Marek hört meine Fragen sehr wohl und beantwortet sie prompt auf eine Weise, die ein wenig an den deutschen Werbeslogan für Ritter Sport-Schokolade gemahnt: quadratisch-praktisch-gut. Sieh mal, da ist ein neuer mehrsprachiger (ebenfalls von ihm mit initiierter) Wrocław-Reiseführer, darin ist der oppositionelle Ursprung der Zwerge erwähnt, mehr Informationen könne auch Waldemar Fydrych alias „der Major“ geben, der heute in Warschau lebt und damals der kreative Kopf der „Orangenen Alternative“gewesen war, immer wieder neue Zwergen-Happenings organisierend, die das Jaruzelski-Regime zur Weißglut gereizt hatte. Sogar dies als Info: Streit hatte es vor ein paar Jahren gegeben zwischen der Stadt und dem „Major“, der eine ahistorische Verniedlichung jener mehr und mehr kommerzialisierten Zwerge fürchtete. Inzwischen habe sich der Konflikt jedoch beruhigt, und falls ich den „Major“ irgendwann anrufen möchte, hier schon mal die Nummer …


War es also ein bisschen gemein von mir, den sympathischen und engagierten Marek Miklaszewski anfangs auf eine beinahe misstrauische Weise beobachtet und dazu auch noch Fangfragen zu seinem familiären Hintergrund gestellt zu haben? Denn nein: Hier ist nicht etwa ein kalt-smarter Nomenklatura-Spross am Werk, der die einst riesenhaft renitenten Zwerge nun geschäftsmäßig … verzwergt. (Im Gegenteil: Aus einer kultivierten Familie mit Exil- und Solidarność-Erfahrung stammend, ist er es schließlich, der mir jenen dreisprachigen Wälzer in die Hand drückt, einen inzwischen vergriffenen Bildtext-Band über den zivilen Heroismus der „Orangenen Alternative“ und ihren nimmermüden Witz gegen die ebenso humorlose wie gewaltbereite Staatsmacht. Andererseits: Doch nicht meine – und auch nicht seine – Schuld, dass Mareks Generation bei aller digitalen Vernetztheit beinahe jeglicher Sinn für psychologische Konstellationen und Ambiguität verloren gegangen ist. What the hell you talk about, könnte er fragen, würde ich sprechen und wäre er nicht derart gut erzogen.) 

Je länger wir unterwegs sind vom Rynek hinüber zur Oder und dann hinaus in die alte Künstlerfabrik, wo die Zwerge gegossen werden, umso mehr erinnert mich Marek an Gael Garcia Bernal in dessen Rolle im chilenischen Spielfilm No!. Es ist die Geschichte eines eher apolitischen Werbefachmannes, der es im Jahre 1988 vermochte, der Anti-Pinochet-Kampagne zu Schwung und Sieg zu verhelfen, die damals neuesten Medien-Tricks nutzend und nicht auf die Folklore-Vorschläge der älteren Oppositionellen hörend.

Aber trägt der Vergleich? Was ich bei all dem Zwergen-Hype vermisse (und das ist wiederum nicht Mareks Schuld), ist ja gerade die Erinnerung an das freche Lächeln der Eltern- oder Großeltern-Generation, deren Coolness dann doch eben eine andere war als die der Heutigen. Was ich vermisse, sind keine elektronischen Links, sondern Gedankenverbindungen zu den Gefährdungen der Gegenwart, in der erneut herrschaftsgestütztes Pathos zivile Ironie zu maßregeln versucht. So schön auch alles in den hiesigen Souvenirshops drapiert ist und von Zwergen-T-Shirts über Zwergen-Feuerzeuge/Teller/Tassen/Kalender und Zwergen-Bleistifte feilgeboten wird – könnte/dürfte es nicht mitunter auch einen Tick weniger niedlich sein?

Womöglich aber hat Marek Miklaszewski doch etwas von meinem grummelnden inneren Monolog erspürt, so dass er mich in einen weiteren Souvenir-Shop geleitet, wo Paulina Mroz, die „Miss Wrocław 2012“ hinter dem Verkaufstisch steht und mit ihrem Charme alle Skepsis verfliegen lässt. 


Oder, nachdem ein Foto von uns gemacht ist, fast alle vorangegangene Skepsis neutralisiert. Bedeutet „Mroz", wie mir Paulina und Marek übersetzen, doch im Englischen „Frost". Und was böte sich angesichts von soviel Gutgelauntheit Besseres an als die Erinnerung an Robert Frost und die berühmtesten Verse des amerikanischen Dichters? „The woods are lovely, dark and deep,/ But I have promises to keep/, And miles to go before I sleep."

Wie wäre es, ersetzte man Wälder durch Zwerge  und sähe es als zu haltendes Versprechen, die von den Vorgänger-Generationen so hart erkämpfte Freiheit als hohen und vor allem: fragilen Wert anzuerkennen, ehe man wieder in den Schlaf einer Alles-ist-bestens-IT-Welt sinkt? 

(Sorry, lieber Marek, doch nicht meine Schuld, dass ich unseren tollen-Stadtgang mit all diesen Gedanken beschwere …)  

              
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Freitag, 10. Juni 2016

Free Jazz mit Wolfgang Templin.
"Do-da-tek! Do-da-tek!" Natürlich war er es, der am Ende des Konzerts im Vertigo nach "Zu-ga-be!" skandierte. Wrocławs bekanntester Jazz-Club befindet sich in der Ulica Olawska, der ehemaligen Ohlauer Straße, und ebenso natürlich war ich es, der Wolfgang Templin an dessen Bitte vor über zwanzig Jahren erinnerte: Ich solle ihn doch einmal in die Ohlauer Straße in Berlin mitnehmen, wo sich damals der berühmt-berüchtigte Kit Kat Club befunden hatte. Die Bitte damals abschlägig beschieden, und das 1948 geborene Wölfchen, wie ihn seine Freunde aus DDR-Oppositionszeiten nennen, späterhin auch jahrelang nicht gesehen. Von 2010 bis 2013 lebte er mit seiner Frau Christiane in Warschau, wo er das Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung leitete. Nun sind beide wieder mal in Wrocław; als Podiumsdiskutant ist der einst von der polnischen Opposition zutiefst geprägte Ex-DDR-Bürgerrechtler ein häufiger Gast in der Stadt. Und nun unser Wiedersehen: Sofortige Aufnahme aller möglichen Debatten, als hätten wir uns das letzte Mal erst gestern Abend gesehen.

Und obwohl der früher so Wildbärtige jetzt – zumindest an der Oberfläche – einem harmlos-freundlichen Pensionär gleicht: Natürlich ist er es, der mit jenen fortgesetzten "Do-da-tek"-Rufen (und zur Verwunderung des habituell eher nicht-jazzigen) Publikums dann vom Jazz-Trio da oben auf der Bühne sogar noch ein Miles Davis-Stück erzwingt, gefolgt von einem grandiosen Gitarrensolo. 


Der Musiker danach an unserem Dreier-Tisch: Gestatten, Kamil Abt. Geboren in Wrocław, als Kind 1981 mit den Eltern ins ferne Australien ausgewandert, später in Tokyo japanisch gelernt, Uni-Abschlüsse in Politikwissenschaft und anderem Seriösen, nun aber seit drei Jahren wieder hier in der alten Heimat, ganz der Liebe zum Jazz ergeben. Die Zusatz-Informationen kommen freilich nicht von ihm selbst, sondern von den zu Recht stolzen Eltern aus Adelaide, die gerade ebenfalls in der Stadt sind. Und nun an unseren Tisch gelockt von Wölfchens ganz selbstverständlicher Menschenfischerei, die zu DDR-Zeiten die Stasi äußerst misstrauisch gemacht hatte: Da ist einer, der kommuniziert anstatt zu monologisieren, der betreibt angstfreies networking (auch wenn es damals das abscheuliche Nerd-Word noch gar nicht gab.)

Entsprechend sind die Fotos dieses Abends dann auch etwas verruckelt, aber in ihrer Blue note-Ästhetik dem freien Geist des Jazz durchaus angemessen.  


Wolfgang Templin bleibt bei all seinen Fragen nach dem Familienhintergrund des Musikers allerdings derart modest in eigener Sache, das ich ein paar Infos zu ihm nachschiebe, dezent zwischen den georderten Bieren. DDR-Dissident und 1986 Gründer der Ostberliner "Initiative für Frieden und Menschenrechte", die sich im Unterschied zu anderen, eher typisch ostdeutsch-pflichtprotestantischen Grüppchen, auch dafür eingesetzt hatte, dass Menschen die DDR auch verlassen konnten anstatt dort "den Sozialismus zu reformieren". Wer nämlich hatte ihm die reform-marxistischen Flausen beizeiten ausgetrieben? Polen. Die Aufenthalte in Warschau und Wrocław, die Kontakte mit den Aktivisten von "Solidarnosc", "Kämpfender Solidarnosc", "Orangener Alternative", vor allem aber mit der Gruppe "Freiheit und Frieden", die auch Elemente der westlichen Alternativkultur aufnahm.

Ergo: Das Gegenteil eines mono-thematischen Veteranen und so uneitel, dass wiederum ich dann doch erwähnen möchte, dass 2010 im Berliner Reichstag Polens damaliger Staatspräsident Komorowski  Wolfgang Templin mit einer Dankesmedaille ausgezeichnet hatte – für dessen Unterstützung von "Solidarnosc".

"Ach", sagt das Wölfchen beinahe abwehrend, zieht die schmalen Schultern noch ein Stück zusammen, wirft beinahe das Bierglas um, doch die listig-aufmerksamen Äuglein signalisieren, dass ihm dieser Abend eine Riesenfreude macht: Von Ostberlin nach Wrocław nach Australien und retour, Take the A-train, dude!  Im übrigen arbeitet er gerade an einer Piłsudski-Biographie – auch deshalb, um linker Ignoranz und der Instrumentalisierung des berühmten Marschalls durch die Rechtsnationalen eine profunde historische Analyse entgegenzusetzen. (Obwohl er es selbst nicht so hochtrabend formulieren würde.) 



Mitternacht im Vertigo zu Wrocław: Kamil Abt schnappt sich das Gitarren-Futteral, Wölfchen Frau geht noch eine rauchen und der präsidentiell Medaillen-Ausgezeichnete sagt nochmals sein freundliches "Ach", ehe er für uns eine letzte Runde ordert.             
              
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Mittwoch, 8. Juni 2016

Nachtrag zum Wochenende.

"Was für ein Tag!", sagte mir am Samstag eine Wrocławer Bekannte. So wie ich den 19. Mai 1989 – Tag der Ausreise unserer Familie aus der DDR – fast wie einen zweiten Geburtstag erinnere, ist für sie der 4.  Juni 1989 ein ganz besonderes Datum: Die ersten (vorerst noch halb-)freien Wahlen in Polen. Auch wenn rechte Ideologen seit langem versuchen, diese enorme Zäsur mit dem puristischen Verweis auf vermeintliche "Inkonsequenz" klein zu reden oder gar aus dem nationalen Gedächtnis zu löschen – für Millionen Menschen nicht nur in Polen, sondern in ganz Mittel- und Osteuropa ist dieser Tag einer der schönsten ihres Lebens. Diese wunderbare Erinnerung: Da gingen Menschen hinaus auf die Straße – doch weder um mit Überdruss einer offiziellen Demonstration beizuwohnen noch sich ängstlich einem Protestmarsch anzuschließen. Gingen stattdessen erhobenen Hauptes und in die Sonne blinzend zu Wahlurnen, die – zum allerersten Mal im Leben – etwas bedeuteten und die Chance boten, die kommunistischen Macht-Usurpatoren abzuwählen. (Fast schon therapeutische Überlegung: Wie krank müssen eigentlich bestimmte Geschichtsrevisionisten sein, um diesen auch psychologisch so entscheidenden Tag zu marginalisieren?) 

Meine Bekannte jedenfalls war damals Austauschstudentin in Ostberlin und lief von ihrem Studentenheim am Franz-Mehring-Platz – wo auch das Neue Deutschland seinen Sitz hat, früher Sprachrohr der Staatspartei SED, heute eine angeblich "linke Tageszeitung" – hinüber zum Alexanderplatz, an dessen Rand sich das Polnische Institut befand. (Auf der Karl-Liebknecht-Straße, genau dort. wo ein paar Monate später die Berliner Herbst-Demonstranten ihr "Wir sind das Volk" skandieren würden.) Am gleichen Tag in Peking: Der Massenmord an den protestierenden Studenten vom Tiananmen-Platz. Und während am letzten Wochenende Hunderttausende Hongkonger an "4th June" erinnerten, störte auch dort ein Rudel rechtsnationaler "Patrioten" die Gedenkveranstaltung mit der Parole, man solle sich lieber um Hongkongs "Identität" kümmern und nicht "halb-marxistischen Studenten" hinterher weinen. Wie sich die empathielose Wirrnis der furchtbaren Abstrahierer gleicht, überall auf der Welt.      

Die heute Mittvierzigjährige aus Wrocław aber stelle ich mir jetzt als noch ganz junges Mädchen vor, die an jenem Sommertag vor 27 Jahren durch das damals noch so stagnierend-öde Ostberlin/"Hauptstadt der DDR" ging, der Freiheit entgegen, einem neuen, selbstbestimmten Leben. Geschichten und Biographien sind dies, zu wertvoll und kostbar, um sie zu vernachlässigen oder zu marginalisieren. 

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Samstag, 4. Juni 2016

So amüsant (und irritierend) es auch ist, dass jeder neue Blog-Eintrag binnen Sekunden immer wieder genau 142 Wesen (Menschliche Gestalten? Roboter? Affirmations-Trolle? Marko-Martin-Ultra-Fans?) aktiviert, die den Text auf Facebook "sharen" - die Sehnsucht nach der Real-Welt muss gerade deshalb befriedigt werden. Und das im wahrsten Wortsinn: Den Lesern der Tageszeitung DIE WELT versuche ich in diesem Essay nahe zu bringen, weshalb mich das gegenwärtige, seine Vergangenheit nicht verleugnende Wrocław/Breslau so inspiriert und weshalb die Stadt ein Hoffnungszeichen auf einem Kontinent ist, der gegenwärtig immer stärker in trübes, sogenannt "identitäres" Fahrwasser zu geraten scheint.

Breslau, Stadt der subversiven Zwerge
Der derzeitige Stadtschreiber Breslaus, unser Autor Marko Martin, ist fasziniert vom vitalen Geist dieser alten Metropole. Selbst randalierende, besoffene Rechtsradikale sind keine Gefahr.
››› zum Artikel

PS: Die polnische Übersetzung dieses Eintrages wird den Zeitungs-Essay in der Originalsprache belassen. Wetten, dass trotzdem die auf diese Blog-Version abonnierten Wesen sofort wieder mit den üblichen 128 mal "sharen" werden? (Oh digitale Moderne, weshalb erinnerst du mich so oft an kommunistische Vorzeit?)
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Mittwoch, 1. Juni 2016

Julio Iglesias in town.
In einem der wunderbaren "Herr Cogito"-Gedichte von Zbigniew Herbert gibt es diese Lobeshymne auf die Schlagersternchen: "dank ihnen/bestimme ich präzise/die daten meines lebens// beschirmt wird es/ von Dalida/ Halina Kunicka/ Irena Santor/ den guten feen// dank ihrer/ ward die tyrannei/ verschönt/ durch schlager// ihnen geziemt/ das wort danke/ ein zärtlicher platz/ im gedächtnis/ ihre namen gemeinsam/ auf der steinernen tafel/ mühseligen daseins"

Nun war es aber keine steinerne Tafel, sondern eine Litfasssäule, auf der ich u.a. dieses Plakat entdeckte, Werbung für Julio Iglesias´ Polen-Tour und das Wrocław-Konzert am 2.Juni. 



Die Säule mit dem Bild des alterslos schmalztollig Lächelnden steht auf dem Plac Kościuszki, die ein besonders phantasiebegabter Stadt-Aficionado einmal mit der Pariser Place Vendôme verglichen hat. Schicksal solcher Vergleiche: Sie wenden sich sofort gegen den Herkunftsort des Vergleichenden, während die Phantasie (und erst recht die frei assoziierende Erinnerung) so etwas nicht fürchten muss. Also Julio Iglesias. Genauer: Julio Iglesias und der Osten. Noch präziser: Julio Iglesias und der Vor-89er Osten. Ich stehe, hinter mir der rasselnde Auto- und Tramverkehr der breiten Ulica Świdnicka, vor diesem Plakat, und stelle mir vor, dass einst polnische Frauen (Typ Mutter oder Schwiegermutter) von dem Spanier ebenso geschwärmt hatten wie deren ostdeutsche oder sowjetische Altersgenossinnen. Und dass deren jeweilige Ehemänner – von Wittenberg bis Wladiwostok recht häufig ins schnurrbärtig-bäuchig Bärenhafte changierend – angesichts des geschniegelten Beau nichts anderes zu brummen wussten als das mürrische Gerücht, so ein dauernd von AMOR-AMOR säuselnder Typ sei wahrscheinlich ohnehin schwul. (War´s so, Ihr würdigen Damen, die Ihr nun am Donnerstag zum Konzert in die Jahrhunderthalle pilgern werdet, in Erinnerung an vergangene Jahrzehnte? Ich werde es nicht erfahren, da auch ein mit offiziellem Tamtam inaugurierter Stadtschreiber von hiesigen Kultur-Events vor allem durch polnischsprachige Websites erfährt – oder auch nicht – jedenfalls ganz egalitär und demokratisch.)

Immerhin: Der solcherart angeschwärmte Julio Iglesias, der das Fehlen lokaler, maskuliner Eleganz für ein paar Song-Minuten vergessen ließ, war A-Klasse. Im Unterschied – mein Erinnerungskarussell dreht sich weiter – zum inzwischen bejahrten italienischen One-Hit-Sternchen Ricardo Fogli, den ich 2008 in einer klirrenden Sylvesternacht in Odessa oberhalb von Eisensteins berühmten Treppenstufen sein "Storie di tutti i giorni" anstimmen hörte, angefeuert von Maschkas mit Pelz und roter Nase. Da er bald nichts mehr Eigenes zu singen wusste, kündigte er über das krächzende Mikro "now very famous England Song" an, beließ es aber bei den ersten Akkorden von "Help" – wahrscheinlich aus Furcht vor Paul McCartneys Tantiemen-Anwälten, deren Spürsinn wohl auch einem Joseph McCarthy gefallen hätte. (Haha.) 

Bailando, bailando … Doch ist dieser Song bereits von Enrique, Iglesias junior, und die Gruppe, mit der er den Megahit aufgenommen hatte, kommt aus Kuba und nennt sich "Gente de Zona", auf gut deutsch: Zonen-Leute

Womit wir – übrigens noch immer zur sonnenhellen Mittagszeit auf dem Plac Kosciuszki stehend – wieder bei jenen schönen Zbigniew-Herbert-Versen angekommen wären. Denn mit welcher Inbrust sangen die Chicas und Chicos von Havanna Enriques Song, wobei sie mir jedes Mal verschwörerisch zublinzelten, wenn der Refrain zu No puedo más kam. Verzweifelte Feinheit diktatur-dominierter Wahrnehmung: Wo Iglesias junior von emotionaler Überforderung sang, intonierten die jungen Halbgötter- und Göttinnen von Havanna den Ausruf Ich kann nicht mehr als Ausdruck ihrer Müdigkeit angesichts eines sklerotischen, aber noch immer bösartig mächtigen Regimes, das zusammen mit den üblichen Che Guevara-Plakaten vor allem diesen herrischen Slogan an die Häuserwände pinseln lässt: "Man kann immer mehr – Fidel."  Bah! Nein! No puedo más …



"Diese Anspielungen trauen sie sich also schon? Wie mutig, wie schön …" 

Es spricht: Mario Vargas Llosa, in Madrid lebender Literaturnobelpreisträger aus Perú und seit gefühlten Ewigkeiten mein Idol (gleich neben Albert Camus) – auch und vor allem, weil der politisch luzide und literarisch dionysische Essayist und Romancier so gar nichts prätentiös Säulenhaftes an sich hat. Unsere Wiederbegegnung in Madrid vor drei Monaten ebenso herzlich-unkompliziert wie all die Treffen zuvor in Berlin oder Mexiko. "Ha, dann singen sie in Kuba also Enriques Song auf diese Weise!", freute sich der Anfang der siebziger Jahre von Fidel Castro höchstpersönlich als "Gusano/Wurm" geschmähte Antitotalitäre. Und linste gleichzeitig hoch zu jenem gerahmten Bild, das Enriques Mamá zeigte, das berühmt-berüchtigte ehemalige Topmodell Isabel Preysler, seit einem Jahr Mario Vargas Llosas neue Lebensgefährtin. Da saßen wir also in der Madrider Villa von Julio Iglesias´ Ex-Frau, in der nun Vargas Llosa Quartier bezogen hatte (draußen vor der Mauer des Anwesens mitunter Paparazzi) und sprachen … Über den Zbigniew Herbertschen Charakter mancher Schlager, welche die Tyrannei wenigstens ein bisschen überstehen helfen.




Und danach, in den abendlichen Ausgeh-Bars und Clubs des Stadtviertels Chueca, inmitten von Latinos und Latinas, die aus Castro-Kuba und dem ebenso staatssozialistisch heruntergewirtschafteten Venezuela geflüchtet waren: "Que, Du kennst Mario Vargas Llosa, verdad? Den Neuen von der Mamá von Enrique Iglesias?"

Schräges Schicksal des Romanciers und Nobelpreisträgers – denke ich, nun langsam wieder den Blick vom Plakat des längst verlassenen Julio abwendend: Vor allem erinnert zu werden als der greise Geliebte der ebenfalls nicht mehr so jungen Mutter (bzw. Ex) eines Schlagerstars? Nicht ganz. Schließlich flogen bei den anschließend gegenseitig ausgegebenen Drinks & Cervezas die Titel (und Inhaltsangaben) von Super-Marios gigantischen Romanen nur so hin und her, vor allem jenes hocherotische Lob der Stiefmutter, sogleich gefolgt vom Hauptmann und sein Frauenbataillon

Während es hier, letzter logischer Dreh zurück nach Wrocław, durchaus passieren kann, auch von weitaus Jüngeren zu einem nachmitternächtlichen Bier oder einer Zigarette eingeladen zu werden, wenn man mit einer gewissen kleinen Kenntnis die hiesigen Zauberer preist: Herbert Miłosz Rózewicz. Vor allem natürlich Czesław Miłosz: Den skeptischen Gläubigen, den Diktaturenfeind und wissenden Erotiker. Diese Art der Dreieinigkeit, spekuliere ich, wird wahrscheinlich vor allem von Katholiken geschätzt und zelebriert – von Havanna/Lima/Madrid bis Warschau/Krakau und Wrocław. Vamos, auf ein tolles Konzert in der Jahrhunderthalle, Amor-Amor, puedo más, bailando …
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