Montag, 18. April 2016

Montag, 18. 4.  
Nach meinem Erst-Besuch im Mai 2015 nun erneut in der Stadt – wiederum voller Neugier, doch diesmal quasi „offiziell“. Zu allererst die notwendigen Betuungen, um sich nun hier für fünf Monate häuslich einzurichten. (Der beste Weg, den spirit of the town zu erschnuppern.) Im Stipendiaten-Apartment im Stadtzentrum funktioniert anfangs das Internet nicht, das Büro der Hausverwaltung ist nicht besetzt – großkleine Katastrophe für einen, der doch ansonsten so froh darüber ist, vor noch der digitalen Revolution sozialisiert worden zu sein, nun aber für eine Weile ein „Blog-Autor“ sein wird. Vergessen also all der Spott über online-süchtige Nerds und asoziale Appholes, stattdessen eine milde Form der Panik. Erkannt/gemildert und schließlich aufgelöst von einer jungen Kiewerin, die nur zufällig im Büro ist, aber sofort auf polnisch telefoniert und mir dann auf englisch das neue Passwort übermittelt. (Eine deutsche Altersgenossin hätte mich wahrscheinlich mit einem pampig-korrekten „Dafür werde ich nicht bezahlt“ abgefertigt.)

Kurz darauf dann auch schon Besuch von meinem Mit-Stipendiaten Jozsef Keresztesi, einem Dichter und Essayisten aus dem ungarischen Pecs, der im gleichen Haus untergebracht ist. Wir sprechen - wiederum auf englisch - ein bisschen über die in ihren jeweiligen Ländern neumächtigen Herren K. und O., aber die Poesie und die Poeten erweisen sich doch als berührenderes Thema: Jozsef erzählt mir von einem Wroclawer Underground-Dichter, der in den siebziger Jahren Selbstmord begangen hatte und über den ich mehr zu erfahren hoffe. (Wie auch über so viele Lebende in der Stadt, die mir von deutschen und polnischen Freunden empfohlen worden sind: Die/den musst Du unbedingt treffen!)
 
Dem Rhythmus des langsamen Ankommens geschuldet, abends dann – nach dem Wiedersehen mit dem wunderbar restaurierten Rynek – eine Club-Tour der gemäßigten Art. Irgendwo dort an der Theke ein kommunikationsfreudiger Mathematikstudent, der mir sogleich erzählt, dass er das geplante neue Abtreibungsgesetz ablehne und zwar mit Verweis auf die Entscheidungsfreiheit in der christlichen Ethik – „denn selbstverständlich glaube ich an Gott“. Konklusion, so ganz ohne ein Übermaß an Piwo: Liberale Gläubige sind spannende Menschen. (Trifft man sie nur in Polen auch in Clubs?) Und bei alldem genau das gleiche Vor-Gefühl wie letztes Jahr: Sieht ganz so aus, als wäre ich in einer guten Stadt gelandet.
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