Mittwoch, 6. Juli 2016

Geschichten, die nicht verloren gehen. Ein Nachmittag mit Bente Kahan.

in memoriam Elie Wiesel (September 1928 – Juli 2016)


Die Davidsterne wehen im Sommerwind, der von der ehemaligen Wallstraße, der heutigen Ulica Włodkowica, in den Hof der Synagoge Zum Weißen Storch dringt. Genau dort wehen die Davidsterne, wo einst die Nazis ihren Umschlagplatz hatten, Deportationssammelort für die zum Gastod bestimmten Breslauer Juden. Am Yisrael Chai! 

„Auch Elie, den ich seit meinen Kindertagen kenne, ist es mit zu verdanken, dass es hier wieder eine sichtbare jüdische Präsenz gibt.“ Auf einem studentisch zerschlissenen Sofa in der Küchenecke ihrer Stiftungsräume sitzt die Norwegerin Bente Kahan und versprüht Charme und Elan. „Elie Wiesel war der Schulkamerad meines Vaters im rumänischen Sighet gewesen, und als mir die Idee kam, aus der maroden Synagoge Zum Weißen Storch dieses Wrocław Center for Jewish Culture and Education zu machen, hatte mir auch sein Referenzbrief geholfen. Aber seien wir ehrlich: ein wenig geholfen, denn obwohl Elie allen möglichen Leuten schrieb, dass es mir ernst war mit meinem Projekt, tröpfelte die Unterstützung eine Weile vor sich hin, bis schließlich …“

Weshalb hört man Bente Kahan so gern zu? Weshalb langweilt es bei der Bente Kahan Foundation eben nicht, von Projektgeldern und Sponsoren zu hören, von scheinbar unüberwindlichen, aber schließlich doch überwundenen finanziellen/strukturellen/logistischen/bau- und betriebs- und stiftungsrechtlichen/architektonischen/organisatorischen und Überhaupt-Schwierigkeiten? Weil die modesten Räume der Stiftung in keinem Verhältnis stehen zu ihrer Arbeit, der Riesenleistung, aus einer halben Ruine wieder ein Schmuckstück gemacht zu haben, Gebetsort zu den Hohen Feiertagen und ansonsten frei zugänglicher Ausstellungs- und Konzertraum. 


Weil Bente Kahan in ihrer freundlichen, ironisch-direkten Art pointiert erzählt, wie städtische Unterstützung und ein norwegischer Found (der den Löwenanteil übernimmt) es schließlich ermöglicht hatten, dass der einst von den Nazis als Autowerkstatt und Lager für geraubtes jüdisches Gut missbrauchte Ort wieder zu einem Besuchermagnet geworden ist – zu einem Mehr-als-Museum, einem Ort der Symbiose zwischen religiösen Riten und historischer Reflexion, Theateraufführungen und Musikabenden. Und undenkbar all das ohne den Elan dieser Bente Kahan mit dem kecken Haarschnitt und einem mitreißenden Lachen, das ein bisschen an die junge Wencke Myhre erinnert. Schließlich schreibt und spielt die Frau ihre Theaterstücke selbst, geht mit ihren Mitarbeitern in Schulen, erreicht so Abertausende. Hat nicht nur die Dauerausstellung der Geschichte der schlesischen Juden initiiert, sondern auch Temporäres wie jene Bild-Text-Präsentation jiddisch schreibender Dichterinnen und Arbeiteraktivistinnen, Biographien des 20. Jahrhunderts, die sie dem Vergessen entrissen hat. Und natürlich singt sie, gibt Konzerte. Songs auf deutsch und jiddisch und englisch, auf Ladino und hebräisch sowieso. Und eine ihrer CD´s versammelt vertonte Gedichte des Wrocławer Lyrikers Tadeusz Różewicz.


Nicht unwichtig: Von all dem erzählt Bente Kahan nicht etwa mit der dünnlippigen Man-muss-doch-etwas-tun-Verbitterung, die mitunter deutschen GeschichtsaufklärerInnen eignet in derem „Engagement für das jüdische Volk“. Bente jedoch, norwegische Jüdin mit einem quer durch Europa reichenden, nicht zuletzt chassidisch geprägten Stammbaum, hat solch verhärmte Konvertiten-Attitüde nicht nötig. Bei aller Tragik der Vergangenheit, denn es geht in der Ausstellung und in den Geschichtsprojekten der Synagoge und der Foundation ja nicht allein um die Shoa, sondern auch um die antisemitische Vertreibungswelle von 1968: Die 1958 in Oslo geborene Künstlerin scheint ihre Arbeit auch als (beinahe sportliche)  Herausforderung zu begreifen: Was ist stärker – die Schwerkraft des Vergessens oder die Kraft der Erinnerung, die zum Teil deprimierenden Mühen des bürokratischen Alltags oder die Freude, wenn es Dank von Sponsoren weiterhin gelingt, Juden und Nichtjuden ins Gespräch zu bringen, Geschichten und Biographien zu bewahren, an die Shoah zu erinnern und doch nicht darauf fokussiert zu bleiben, sondern auch die jahrhundertealte Geschichte der Juden in Schlesien zu erzählen. 


Aber … Wie kommt eine Norwegerin ausgerechnet nach Wrocław? (Wieder dieses helle Lachen, die ohnehin sonnenüberfluteten, vor Papieren überquellen Stiftungsräume noch lichter machend.) „Ich hatte an New Yorker und Berliner Bühnen gespielt, im Habima Theater in Tel Aviv, aber was mir immer am Wichtigsten war, war die Verbindung zwischen Kunst und Menschenrechten. Ehe ich mich ab 1990 hauptsächlich der jüdischen Thematik zuwandte, hatte ich in Norwegen Stücke über iranische Flüchtlinge und dergleichen gemacht. Und spürte bei allem Erfolg doch mitunter eine Art gläserne Wand, eine nördliche Irritation angesichts dieser schwarzhaarigen Frau mit ihrem etwas anderen Elan und auch Humor. Na, und dann lernte ich Mitte der achtziger Jahre meinen jetzigen Mann kennen. Vielleicht haben Sie ja von ihm gehört und seinen Antiregierungs-Reden samstags auf dem Rynek. Ich halte mich da selbstverständlich raus und konzentriere mich auf die Stiftungsarbeit, aber …“ 

Aber selbstverständlich ist ihr Ehegatte, gegenwärtiger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, stadtbekannt: Der wuchtig wirkende Mann mit dem schönen Namen Aleksander Gleichgewicht ist einer der Hauptredner bei den Demonstrationen, die vor der Gefahr eines neuen Illiberalismus warnen. Steinaltes Geständnis des antitotalitären jüdischen Intellektuellen: Er und sein heute 97 jähriger Vater – auch dieser ein Shoah-Überlebender – hatten die „Säuberungen“ von 1968 erlebt, waren im Wrocław der achtziger Jahre bekannte Solidarność-Aktivisten und kamen schließlich als politische Flüchtlinge nach Norwegen. Wo Aleksander dann Bente kennen lernte, heiratete und nach dem Umbruch von 1989 überzeugen konnte, mit ihm und den gemeinsamen Kindern nach Wrocław zu übersiedeln. Apropos: „Viele der Freunde meines Mannes, die zuvor in der Solidarność-Illegalität gewesen waren, trugen nun Verantwortung in der Stadt – und waren dann ebenfalls gute, hilfreiche Geister, um zumindest die Synagoge Zum weißen Storch wieder lebendig zu machen, da die Nazis ja die unvergleichlich größere, Neue Synagoge am 9. November 1938 bis auf den Grund niedergebrannt hatten.“


Und so ist es jetzt Realität, dass im Hof wieder die Davidsterne wehen. Aus einem der Restaurants, spezialisiert auf osteuropäisch-nahöstlich jüdische Küche, dringt Céline Dions wohl schönstes Chanson, geschrieben von Jean-Jacques Goldman: „La Mémoire d´Abraham“, gefolgt vom rhythmisch packenden „I´m alive“. Ja, die Davidsterne wehen wieder in Wrocław, im ehemaligen Breslau. Zu danken dem Engagement von Bente Kahan und ihren Mitstreitern. Zu danken aber auch jenem Brief, den einst Elie Wiesel, Schulkamerad von Bentes Vater, in alle Welt gesandt hatte. Zichrono livracha. Möge sein Gedenken ein Segen sein. 
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