Stadtschreiber on tour.
Nicht „16 Uhr 50 ab Paddington", sondern 16:29 ab Wrocław Główny: Der Kulturzug „Berlin-Wrocław“ setzt sich in Bewegung, nimmt sich dafür aber sehr viel Zeit, und in Legnica erst einmal Auszeit. Dann zuckelt er weiter, ohne Klimaanlage, die Sitze mit der Beinfreiheit eines Kaninchenstalls, aber wir sind ja nicht zum Meckern hier, sondern zum Lesen, d.h. zum Vortragen eigener Texte.
Nicht „16 Uhr 50 ab Paddington", sondern 16:29 ab Wrocław Główny: Der Kulturzug „Berlin-Wrocław“ setzt sich in Bewegung, nimmt sich dafür aber sehr viel Zeit, und in Legnica erst einmal Auszeit. Dann zuckelt er weiter, ohne Klimaanlage, die Sitze mit der Beinfreiheit eines Kaninchenstalls, aber wir sind ja nicht zum Meckern hier, sondern zum Lesen, d.h. zum Vortragen eigener Texte.
Uwe Schimuneks 2014 geschriebener, jedoch 1854 auf selbiger Zugstrecke spielender »Criminalroman« Tragödie im Courierzug (Jaron Verlag Berlin) bleibt deshalb erst einmal aufgeschlagen liegen auf Seite 213, wo es heißt: „‘Das ist Breslau!‘ Poniers Ruf drang in Christian Philipp von Gontards Gedanken, als komme er aus einer anderen Welt.“ Da war im Roman bereits ein Mord geschehen, während hier im „Kulturzug“ alles friedlich ist, wenngleich zwei schicke junge Damen neben mir dies wispern: „Kulturzug? Ha! Da hat wohl eher jemand eine alte Bundesbahn-Möhre unter diesem Titel verscherbelt und macht nun bestimmt trotz des unschlagbaren Hin- und Rücktickets von nur 38 Euro dicke Kohle.“ Eine Verschwörung, ein neuer Krimi-Plot gar auf dieser Zugstrecke Breslau-Berlin, die an den Sommerwochenenden von eben jenem Zuglein befahren wird, ohne dass man in Poznań umsteigen muss?
Ach was, aber nein! Wo im Kulturzug doch tatsächlich Kultur geboten wird und Stadtgeschichte – zweisprachige Plakate und Sitzschoner erinnern an berühmte Breslauer und Wrocławer, während in den Abteilen immer etwas los ist. Diesmal mit im Zug: Der Cellist Nikolaus Herdieckerhoff, der seinem Instrument wunderschöne Töne entlockt, stärker (zumindest gefühlt stärker) als alles Gleis-Gerumpel. Gegen dieses muss dann auch ich anreden/anlesen, aber da die zehn Zuhörer ebenso verschwitzt und ermüdet sind wie ich, treffen wir uns auf genau dieser Ebene spätnachmittäglichen sommerlichen Abgeschlafftseins, während draußen idyllische Landschaft vorbeizieht und ich über meine Breslau-Wrocław-Erfahrungen berichte. (Es stellt sich heraus, dass selbst ältere Stadt-Aficionados noch nie etwas von diesem Blog gehört haben.)
Um die Verspätung wenigstens ein bisschen aufzuholen, legt der Zug dann hinter Cottbus zu. Jetzt wäre Zeit, mit der Krimi-Lektüre fortzufahren, doch schiebt sich die Erinnerung an Gerhart Hauptmanns Bahnwärter Thiel davor. Der schlesische Schnellzug aus Breslau, der Polterkasten … Schließlich kurz bei Friedrichshagen das Verhängnis: Thiels harsche zweite Frau gibt nicht auf den kleinen Sohn acht, der sich den Gleisen nährt und … Und zu Tode kommt, während die Stiefmutter samt ihres eigenen Kindes noch in selbiger Nacht vom wahnsinnig gewordenen Bahnwärter erschlagen wird. Puh … Durchatmen und die Glieder recken, als der Zug schließlich am Ostkreuz eintrudelt.
Ein paar Tage später dann – und dies ausgerechnet in „meinem“ Berliner Wohnviertel – zu den „Reinickendorfer Sprach-und Lesetagen“, die hier eine „Breslauer Nach(t)Lese“ veranstalten. Sogar Herr Jan Wais von der Wrocławer Stadtverwaltung ist gekommen, um uns allen ein Grußwort zu sprechen.
Ein paar Tage später dann – und dies ausgerechnet in „meinem“ Berliner Wohnviertel – zu den „Reinickendorfer Sprach-und Lesetagen“, die hier eine „Breslauer Nach(t)Lese“ veranstalten. Sogar Herr Jan Wais von der Wrocławer Stadtverwaltung ist gekommen, um uns allen ein Grußwort zu sprechen.
Zusammen mit dem Autor dieser Zeilen mit von der Partie: Wolf Kampmann, dessen Breslau-Roman Schuhbrücke ein absolut packendes, detail-präzises Familienepos ist, während die Texte der jungen Wrocławer Lyrikerin Agnieszka Wolny-Hamkalo eher auf Reduktion setzen und Nadia Szagdajs Krimireihe Die Chroniken der Klara Schulz das nicht zuletzt auch polnische Gegenwarts-Interesse am deutschen Breslau bedient. Schöne Koinzidenz: Die Übersetzerin der Krimi-Trilogie ist selbst Schriftstellerin und trägt (beinahe) den gleichen Namen wie die Roman-Protagonistin: Paulina Schulz.
Besonders eindringlich aber die Wrocław-Erinnerungen des Holocaust-Überlebenden Anatol Gotfryd, der später nach Westberlin geflüchtet war – diese Passagen über eine ganz andere, gezwungenermaßen existentiellere Mobilität gelesen vom Schauspieler Uwe Neumann. (Und unsereins hatte doch tatsächlich schon herumgegrummelt, nur weil es im verdienstvollen und dazu auch noch preiswerten Kulturzug zwar Mineralwasser, aber keine Klimaanlage gab? Shame on yo u .)
Besonders eindringlich aber die Wrocław-Erinnerungen des Holocaust-Überlebenden Anatol Gotfryd, der später nach Westberlin geflüchtet war – diese Passagen über eine ganz andere, gezwungenermaßen existentiellere Mobilität gelesen vom Schauspieler Uwe Neumann. (Und unsereins hatte doch tatsächlich schon herumgegrummelt, nur weil es im verdienstvollen und dazu auch noch preiswerten Kulturzug zwar Mineralwasser, aber keine Klimaanlage gab? Shame on yo u .)
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