Ein Nachtrag zum Wochenende, voller Freude.
Ich war auf dem Rynek mit einem Filmteam aus Potsdam-Babelsberg verabredet, entsandt vom Deutschen Kulturforum östliches Europa, um meine Stadtschreiber-Aktivitäten zu dokumentieren. Kameraeinstellungen, Fragen der Lautstärke/des Lichts/der Blende/der Perspektive, Fragen der jungen Interviewerin Laura im sympathischen Team des alten DEFA-Hasen Uwe Fleischer, dazu meine Antworten. Aber dann, aber dann … Wie viel Mal musste ich meine Sätze wiederholen, weil von links plötzlich französischer Chorgesang zu hören war, ehe vom alten Salzmarkt eine Truppe junger Spanier mit wehenden Fahnen herantrabte, „Viva España” sang und „El Rey Jesús” – und ich wieder einmal über die Fähigkeit der Katholiken staunte, Gottes Sohn zum Sprössling der jeweils eigenen Erde zu machen. Heidnischer Tribalismus? Vielleicht, doch gleichzeitig auch das Antidot, das katholikós im altgriechischen Wortsinn – allumfassend, das Ganze betreffend, universell.
Denn wie jubelten sie einander zu, all diese Halbwüchsigen und jungen Erwachsenen, die tatsächlich aus der ganzen Welt hierher nach Wrocław gekommen waren, zur Auftaktveranstaltung der diesjährigen katholischen Weltjugendtage, die danach in Krakau fortgesetzt wurden. Umarmt die Italiener, begrüßt die Maltesen, ein Hoch auf Polen und Rumänen – und nichts da mit verschwitztem Klerikalismus, nichts da mit der herabwürdigenden Instrumentalisierung der Religion, wie man się in Deutschland bei den PEGIDA-Aufmärschen erlebt und in Polen in den Sendungen von „Radio Maryja”. Stattdessen die Realität gewordene Aufforderung des Psalmisten – „Gedenke Deines Schöpfers in Deinen Jugendtagen”. (Inzwischen sind auch bayerische Fahnen zu sehen, dazu vergnügte Christen aus dem noch ferneren Japan und Brasilien.)
Und die Filmcrew und ich ihnen hinterher. Gut, ich sollte zeigen, wie pudelwohl ich mich in diesem weltoffenen Wrocław-Breslau fühle, in der (mindestens) Doppelnamen-Stadt mit den zig Vergangenheiten. Aber jetzt mit diesem zusätzlichen Hintergrund, der tatsächlich alles toppt? Becircender hätte sich in diesem Moment die Stadt gar nicht präsentieren können …
Vorbei an der Universität – rechts das pathetische Fechter-Denkmal, links der alltagstauglichere Bronzezwerg mit seinem Regenschirm – hinüber auf die Sandinsel, zum Denkmal des wunderbaren, tapferen Kardinal Kominek, der (so stellt es sich zumindest meine Agnostiker-Phantasie vor), irgendwo in den unerklärlichen Weiten von Zeit und Raum sich jetzt gewiss ebenso freuen mag über die Freude der nach Wrocław geströmten jungen Christen, über ihren Frohmut und ihre innere und äußere Freiheit, die keiner reaktionären Muffigkeit bedarf.
Selbstverständlich ist es dann eine Herausforderung, in die Potsdamer Kameras ein paar Sätze über den Visionär und Hirtenbriefverfasser von 1965 zu sagen, wenn rings um einen die Töchter und Söhne Nippons Jesus-Gesänge auf Japanisch anstimmen, doch weiterhin: Wie erleuchtet plötzlich alles ist von unprätentiösem Gutsein und einer Menschlichkeit, so ganz ohne hochtrabende Rhetorik!
Dann weiter im Gewühl, hinüber zur Dom-Insel. Vor der Kathedrale eine Bühne, darauf junge Frauen, die mit religiösen Pop-Rhythmen Jesus preisen, und zwar nicht der erstarrten Leidensfigur, sondern dem Menschenfreund bei der Hochzeit von Kana – aufmunternde Gedanken und gute Getränke und reichlich Speisen für alle! Im Publikum: Schwarze und Weiße, Minirock-Schönheiten mit Papst-T-Shirts. (Und dieser Gedanke: Junge Christinnen, die sich von keinem unverschämten Pfaffen oder Parlamentspolitiker sagen lassen werden, wie sie mit ihrer Seele und ihrem Körper umgehen sollen.)
Inzwischen habe ich mich ein bisschen von der Crew entfernt, denn dieser Moment braucht kein Kamera-Zeugnis. (Und soll trotzdem hier festgehalten werden.) Meine Mit-Begeisterung, obwohl ich doch religiös eher unmusikalisch bin und mir die ethischen Konsequenzen des Glaubens wichtiger scheinen als dieser selbst. Aber vielleicht gerade deshalb diese Wertschätzung für eine judäo-christliche Gestimmtheit der Reflexion und des Zweifels, der Lebensverantwortlichkeit und Interpretationsfreude. Denn was singen die jungen Polinnen da plötzlich auf der Bühne, hinein in den Jubel aus vier Kontinenten? Hava nagali hava, Abraham Zvi Idelsohns chassidische Hymne, die Lasst uns glücklich sein bedeutet! Und gleichzeitig mehr ist als nur ein Lied. Hebräisch im Schatten einer Kathedrale, im Schoss einer Religion, die das humane Erbe jenes Rabbi Jeschua aus Nazareth Jahrhunderte lang beinahe ausgelöscht hatte in Scheiterhaufen und Hassrede. Und nun dies! Und nun das Lied sogar in polnisch, hinein in diesen Sommertag, in die Gassen und über die Wasser der Oder! Tränen der Rührung, unsagbar wertvoller Moment. Weil es das Gute ja doch gibt, die Zurückweisung von Nihilismus und Fanatismus. Weil der Glaube (zumindest dieser, zumindest in dieser Tradition) kein Prügel ist, um auf Anders- oder Nicht-Gläubige einzuschlagen. Weil all die tausenden jungen Leute hier und die umherstreifenden Älteren in diesem Augenblick etwas leben, was unendlich kostbar ist.
Auch wenn mir dann – zurückgekehrt zum Filmteam, das nun ebenfalls ganz gerührt wirkt – schlussendlich dann doch kein Bibelvers einfällt, sondern jene Zeile eines Czesław Miłosz-Gedichts, das die erotische Erinnerung an eine inzwischen längst steinalt gewordene Jugendfreundin birgt und mit genau diesen Zeilen der Dankbarkeit das rein Irdische transzendiert: „Vor dem Antlitz des Herrn singen und tanzen”. Ja, so ist es möglich, so soll es sein.
1 Kommentare:
Wir freuen uns, morgen nach Wroclaw zu kommen, um
von dieser Lebensfreude auch ein bisschen zu spüren...
Danke für den Text!
Maciej Lempka
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